TEN LINED BUG – Gehen drei Käfer...

Aha, wer kennt noch den Schulfhofwitz aus der 3. Klasse? Gehen drei Käfer auf den Gleisen. Sagt der erste: „Da vorne kommt 'n Zug!" MATSCH. Der zweite: „Wo?" MATSCH. Der dritte: „Da!" MATSCH. Das ist lustig. Ungefähr so lustig, wie wenn Alexa oder Siri einen Witz erzählen.

Meine Recherche zum Ursprung des Namens "TEN LINED BUG" führt mich trotzdem zunächst ganz woanders hin. Namentlich zum „Polyphylla decemlineata" aus der Familie der Scarabaeidae, der Skarabäen, der Glücks- und Blatthornkäfer. Und apropos dritte Klasse: aus „Was-ist-Was Ägypten" weiß ich, dass der Skarabäus für das Leben und die Wiederauferstehung steht. Der Zehn-gestreifte-Juni-Käfer im Speziellen wird außerdem vom Licht angezogen, macht zischende Laut, wenn er gestört wird und verbringt mitunter bis zu vier Jahre im Larvenstadium.

TEN LINED BUG haben keine vier Jahre im Larvenstadium verbracht sondern schnell das Licht der Welt gesucht. Ihre unter CC BY-NC-ND 4.0 veröffentlichten Songs machen klar warum: es gibt genug, gegen (und für) das es sich zu singen, schreien, tanzen lohnt. So erzählen TEN LINED BUG in ihren Texten beispielsweise von den Stimmen im Kopf, die die eigene Wahrnehmung immer mehr einengen. Und damit auch die Wahrnehmung dessen, was Realität ist - oder überhaupt sein könnte. Diese Extremzustände in denen die eigene Realität nicht mehr mit der Realitätsvorstellung anderer vereinbar zu sein scheint, führen uns mitunter an den Rand einer (piratenmäßigen) Planke: an den dunklen Ort, von dem es nur noch den Sprung „über Bord" zu geben scheint. "Reaching the edge of the plank" (TLB: Deaf Ears). Dass mich das irgendwie an David Foster Wallace und „This is Water" erinnert, ist möglicherweise kein Zufall? Auch Zeilen aus den ganz frisch gemasterten Songs "What if" und "Have to be" greifen diese Motive auf. Heißt dort doch zum Beispiel "The world keeps moving forward / without me at it´s side / I feel like an observer / who has a narrow sight / I have to be something / I have to be someone / that´s why it´s hard to be at one with myself." (TLB: Have to be). Oder kurz und knackig: "Show me how small / my world is / - fuck". (TLB: What if)

Apropos frisch gemastert. TEN LINED BUGs Sound ist gut produziert. Nicht im Sinne von Hochglanz, sondern im Sinne gezielter Handgemachtheit - in the name of Punkrock. Und wer wie ich das Glück hatte, schon in einen raren Live-Mitschnitt reinhören zu dürfen, weiß, dass diese in den Aufnahmen wunderbar eingefangene Handgemachtkeit noch mal von der Energie übertroffen wird, die TEN LINED BUG auf der Bühne ausstrahlen. Die ist nämlich weder von punkrockiger Pseudo-Aggressivität, noch von hochgereckten Künstler*innennasen geprägt. Im Gegenteil. TEN LINED BUG bleiben stets auf Augenhöhe und feiern so und mit ihrer Musik das Miteinander: mit dem Publikum – und generell das Miteinander von Menschen. Damit passen sie perfekt zur Angst vor deutschen Kleinstädten 2.0. Denn so sehr diese bekloppten Tierchen einen auch manchmal an der Rand einer Planke drängen mögen, die Glückskäfer von TEN LINED BUG legen sich fest und stehen fürs Leben. Also, runter vom Gleis!

(NACHTRAG: Erst später erfahre ich von "Leptinotarsa decemlineata", dem "Ten Lined SPEAR Bug", dem Kartoffelkäfer. Den Unterschied zwischen Glück oder Kartoffel machen also nur der Juni und ein Speer? Oder geht es doch um "Kartoffelfresser"? Würde ja auch zur Angst vor deutschen Kleinstädten 2.0 passen. Interpretation offen.)

REINHÖREN: 
https://tenlinedbug.bandcamp.com/

FÜNF FRAGEN AN 
Till, singender Streifenkäfer:

1. Welchen Beruf haben sich deine Eltern für dich vorgestellt? 
TILL: Da waren sie nicht so explizit, aber studieren schon.

2. SMS von dir an dein 16jähriges Ich. Was steht drin? 
TILL: Du hast noch gar kein Handy, du findest Handys überflüssig! Aber Snake macht Bock.

3. Was machst du anders, als andere Menschen? 
TILL: Ich denke gar nichts.

4. Welchen Fehler würdest du jederzeit wieder begehen? 
TILL: Alle.

5. Hashtag Wiedergeburt: Wärst du lieber ein Blatt oder eine Wurzel? 
TILL: #Wurzel

Angst vor deutschen Kleinstädten 2.0, 16.12.17, Spartacus Potsdam